Dokumenta X - in Kassel. Eine ganz persönliche Ansicht, fast eine Polemik





Dieses Jahr findet zum 10. Mal (und zum letzten Male in diesem Jahrtausend <- vielbeschworen) die Dokumenta statt, die größte Kunst-Schau der Welt, wie man sagt. Zum ersten Male wird diese Veranstaltung von einer Frau gestaltet - Catherine David ist die diesjährige Kuratorin.

Es boten sich, so lese ich aus dem Vorwort David's, zwei Themenstränge an: eine Jubiläums-Dokumenta und damit eine Rückschau auf die 9 Veranstaltungen vorher, oder eine Bestandsaufnahme zum Ende des Jahrtausends: ein kritischer Blick auf das, was die Kultur und die zeitgenössische Kunst 'umtreibt'. Es sollten die wichtigsten Positionen unter einer kritischen Perspektive gesichtet und neu durchdacht werden. «Die Wirklichkeit versinkt in ihrer Repräsentation als Spektakel» (Serge Gruzinski), also alles wird zur Show - und da schien es angebracht, auf die Verfahren der Analyse und Verfremdung einzugehen.

Die dokumenta X ist nicht nur als Kunstausstellung konzipiert: eine Diskussionsreihe mit hundert Gästen an hundert Tagen, eine Reihe mit Kino-Filmen, die speziell für diese Schau gedreht wurden, und eine Theater-Serie gehören dazu.

Treppenstraße in Kassel

Den Besuchern, die nicht das Glück (?) haben, in Kassel oder in der Nähe zu leben, verschliessen sich diese Angebote aber nahezu hermetisch, sodaß sich für sie die dokumenta auf den Parcours vom Kulturbahnhof über die Treppenstraße bis zu den Ausstellungshallen und zur Orangerie reduziert. Es bleibt also doch eine fast museale Angelegenheit.



Ich hatte schon einige negative und/oder vorsichtig abwägende, aber doch negative Kritiken über das diesjährige Konzept gehört und wollte mich davon nicht beirren lassen.
Vieles schob ich auf die Tatsache, daß eine Frau in einem solchen Amt immer aufgeregtes Gegacker der Hähne provoziert, und die Verschlossenheit, die Catherine David gegenüber den Medien an den Tag legte, schien mir angenehm und berechtigt angesichts der Medienverliebtheit ihres Vorgänges Jan Hoet.

Unvoreingenommen ging ich auf den Parcours, und wurde doch von Station zu Station verärgerter und grimmiger.

In den Hallen drängten sich die Besucher und suchten die Orientierung:
viele kleine Bilder in endlosen Reihen an der Wand, mancherorts fühlte ich mich wie in den Treppenfluren einer Volkshochschule:
überall wurde ich belehrt, mit pseudo - wissenschaftlichen Forschungsergebnissen konfrontiert oder über Architekturprojekte in verschiedenen Teilen der Welt aufgeklärt.

Warum erledigt Hans Haacke die Hausaufgaben eines Urbanistik- und Soziologie-Studenten, indem er die Wirtschaftskriminalität beim Verslumen New Yorker Ghetto-Viertel dokumentiert?

Warum meint man, Walter de Maria's Erdkilometer nachdokumentieren zu müssen, wenn man diesen doch draußen auf dem Platz betreten kann?

Da draußen fühle ich die Verletzlichkeit der Erdkruste, mache mir deutlich, daß unter meinen Füßen ein Stab 1000 m tief in die Erde gerammt ist. Da ist er Realität....

Der Künstler möchte wissenschaftlich arbeiten, aber seine Domäne hat dafür nicht die Methoden - also erfindet er neue oder wendet sozialwissenschaftliche Methoden laienhaft an. Das Ergebnis ist hier zu besichtigen.

Suzanne Lafont

Ich denke immer mehr, diese documenta soll das Verschwinden der Kunst dokumentieren, mit der Verneinung des Spektakels der Kunstvermarktung wird auch gleich die Kunst verschüttet. Die Medien übernehmen die Macht, Monitore überall, aber fast keine Bilder mehr (Zurück zu den Bildern. Hin zum Film. Zusammen mit Sony), fast keine Installationen, Performances scheinen rigoros verboten, es lebt nichts. Suzanne Lafonts Bilder der Immigranten-Häuser verschwinden von den Wänden der Unterführung.

Im Kulturbahnhof werden noch Spuren aus Ateliers der 60er und 70er gezeigt, versprengt zwischen Monitoren mit den immer gleichen Video-Autofahrten (ob Moskau, Senegal oder Jerusalem - diese Sony-Kameras am Lenkrad - das ist uninteressant und überflüssig).

Die Monitorisierung der Kunst - die Degradierung des Kunstbetrachters zum geplanten Inventar, angenabelt und abgestöpselt glotzt der Mensch und sucht den Sinn.

Die Globalisierung greift, die Produktionsmittel werden billig - jeder kann sich eine Video-Kamera kaufen oder leihen und dann meint er, das Gezitter und Gezappel sei was.

Ich kann es nicht mehr sehen!
Ich sehne mich nach Ulrike Rosenbach's oder Klaus vom Bruchs Video-Kunst.

Kunst verschwindet auch dann, wenn die Kunstproduzenten ihre Arbeit nicht mehr ernst nehmen und vermeinen, den Start-Aufnahme-Knopf drücken zu können - das wäre es schon.

Und was bringt es, wenn mir der Begleittext erklärt, daß die Video-Fahrt durch politisch besonders sensibles Gebiet führt, nämlich durch einen Stadtteil Jerusalems, wo einiges passiert? Da fahren doch ständig Autos durch die Gegend, das ändert doch die Geschichte nicht (es sei denn, im Auto ist eine Bombe - aber auch das wäre jenseits der Kunst...).

Einige Künstler sollten, ja müssen hier genannt werden, denn zwischen den Kabeln und hinter den Stellwänden voller Belehrungen waren natürlich auch wirkliche Perlen zu entdecken:

William Kentridge aus Südafrika zeigte den gezeichneten Film History of the Main Complaint, einen Film, der mit sparsamen Mitteln eine außergewöhnlich dichte und bedrückende Athmosphäre schafft. Diese Bilder werde ich so schnell nicht vergessen können.

Nancy Spero's Werke, eine Mischung aus Malerei, Zeichnung, Collage, mechanischen Bildern und Texten, waren schwer zu finden: unspektakulär gehängt an der Längswand einer großen Halle, traf man hier auf Bilder, die Gewalt, Männerherrschaft und Krieg aus einer feministischen Sicht aufzeigten und die sich ins Gedächtnis brannten.

Einige Kritiker nannten diese documenta eine Volkshochschul-Veranstaltung, andere unterstellen ihr eine Belegstück-pro-Theorie-Manie (sehr treffend), mir fehlt die Bilderlust, nichts ist lebendig, kein Humor, keine Freude, keine ironische Verfremdung, alles so ernst und lehrerhaft: Catherine David hat den deutschen Charakter sehr gut getroffen!

Metro-Eingang, KippenbergerAm Ende des Parcours wartet die Orangerie mit zwei besonders didaktischen Installationen auf: in einem Zirkuswagen voller drapierter Gegenstände (Pawel Althamer) sitzt ein alter polnischer Mann. Ich kann nicht umhin, dem Kurzführer folgenden Text zu entnehmen:

.. Die seltsame und dennoch normale Anwesenheit dieser Person zwingt den Besucher, die Funktion dieses Individuums zu definieren und ihm somit eine Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die er normalerweise nicht genießt...

Ich fand dies so zynisch, daß ich mir den alten Mann nicht angesehen habe. Der Schweinestall von Rosemarie Trockel und Carsten Höller allerdings erreichte sein wohl gestelltes Ziel: ihm attestiere ich eine bewußtseinsverändernde Wirkung:

ich wurde endgültig so böse, daß ich im Metro-Eingang Kippenbergers den Eingang zum Hades zu sehen vermeinte.



Ich werde diese documenta sicherlich nocheinmal besuchen und ich möchte mein Urteil über diese Ausstellung gerne revidieren, der 2. Blick bietet oft eine 2. Chance. Trotzdem bin ich der documenta jetzt schon dankbar: sie gab mir die Gelegenheit, im Kasseler Kunstverein die wunderbare Installation Ort-Raum Götternacht von Kazuo Katase zu erleben.

Und damit genug der Documenta für dieses Mal. Die Abendsonne im Hinterland versöhnte dann vollends.


Ort-Raum Götternacht von Kazuo Katase

Ein Aspekt sei aber doch noch genannt: die Internet-Manie dieser Kultur-Show animierte mich, einen av@ntart-Kunstpreis auszuloben. Ich bitte um rege Beteiligung!


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